Carotis-Druckversuch

Prinzip

Der Test hat den Zweck, herauszufinden, warum Patienten schwindelig oder gar ohnmächtig werden.Dabei ist das Prinzip des Test Folgendes:

Damit alle Organe des menschlichen Körpers optimal funktionieren, benötigen sie Blut, das mit einen ganz bestimmten Blutdruck in diese Organe hineingepumpt wird. Der Blutdruck darf nicht unter eine erforderliche Normalhöhe absinken, weil dann zu wenig Blut in die Organe fließt, er darf aber auch nicht über das normales Maß ansteigen, weil dann die Gefässe und die einzelnen Organe geschädigt werden. Es muß also immer ein bestimmter Blutdruck herrschen. Die Höhe dieses Blutdruckes kann auch verschiedene Weise beeinflußt werden:

Nun muß aber irgendeiner dem Kreislauf sagen, was er zu tun hat, wie schnell und wie kräftig das Herz schlagen soll und wie weit die Blutgefässe sein sollen. Hierfür ist zum einen ein Kreislaufzentrum im Gehirn zuständig, zum anderen das Herz selber.

Es funktioniert genau wie bei einer Zentralheizung:

Da sitzt ein Thermometer in der Wohnung, das dem Gehirn der Anlage im Keller sagt, wie warm es ist. Wird es zu kalt, dann wird der Heizkessel eingeschaltet, wird es zu warm, wird er abgestellt. Am Kreislauf funktioniert das im Prinzip genauso. Auch hier muß es Geräte geben, die den Blutdruck messen. Die Meßergebnisse werden ins Gehirn an die Steuerzentrale und direkt ans Herz gefunkt.

Hier in der Steuerzentrale des Gehirns wird überlegt, was zu tun ist: Melden die Meßorgane (es gibt mehrere) z.B., daß der Blutdruck zu tief ist, ergeht von der Steuerzentrale der Befehl an das Herz, die Frequenz und die Kräfte des Herzschlages zu steigern und an die Blutgefässe, sich zu verengen; steigt der Blutdruck, kommt die Order, die Herzfrequenz und die Kraft des Herzschlages zu senken und die Blutgefässe zu erweitern.

So funktioniert das Ganze völlig automatisch, man nennt diese Funktionsweise einen "geschlossenen Regelkreis".

Eine wesentliche Bedeutung kommt in diesem System den Meßgeräten für die Höhe des Blutdruckes zu. Eines dieser Meßgeräte sitzt in den Halsschlagadern und zwar genau an der Stelle, an der sich die große Halsarterie in einen Ast für die Versorgung des Gehirnes und einen anderen Ast für die Versorgung des Gesichtes teilt; man nennt diese Gefäßgabel den "Carotissinus". Von diesem Meßgerät gehen die Meldungen über die Höhe des Blutdruckes an Gehirn und Herz.

Nun kann dieses Meßgerät funktionsuntüchtig wird, etwa weil die Gefäßwand verkalkt. Bei einer solchen Funktionsstörung kann auf einmal sehr überempfindlich werden und schon auf kleinste Reizungen überschießend reagieren:

Das Meßgerät im Carotissinus liegt am Hals unmittelbar unter der Haut. Wenn das Gerät einen Druck mißt, kann es nicht unterscheiden, ob dieser Druck von außen, von einem boshaften Menschen mittels dessen Finger erzeugt wurde, der auf den Hals drückt oder ob der Blutdruck im Gefäß angestiegen ist und dann, aber diesmal von innen, auf das Meßgerät drückt.

Die Reaktion des Meßgerätes ist immer dieselbe: Es wird "zu hoher Druck" gemeldet, die entsprechenden Dienststellen leiten die entsprechenden Schritte ein (Frequenzabfall (Bradykardie), Herzkraftreduzierung, Blutgefäßerweiterung) und der Blutdruck fällt.

Wenn das Meßgerät nun krank ist, also etwa überempfindlich, dann reagiert es schon auf kleinere Druckerhöhungen mit hysterischen und übertriebenen Meldungen an die Zentrale. Das Ergebnis ist, daß die Zentrale schon bei geringen Drücken, bei denen sie normalerweise garnichts täte, anfängt, den Druck zu senken. Da das Meßorgan in diesen Fällen aber nicht nur einfach einen erhöhen Druck meldet, sondern (es ist ja krank!) in Panik verfällt und einen extrem hohen Druck meldet, zieht die Zentrale, die ja nicht wissen kann, ob das wirklich so ist, die Notbremse: Das Herzfunktion wird über eine kurze oder längere Zeit entweder drastisch vermindert oder sogar vollkommen abgeschaltet und stillgelegt: Herzstillstand (Asystolie)!

Normalerweise sinkt der Blutdruck dann wieder ab und das Meßgerät kann melden: "OK, Druck ist wieder unten!". Daraufhin läßt die Zentrale das Herz wieder arbei- ten.

Wenn der Blutdruck derartig abfällt reagiert nun das Gehirn mit seinen verschiedenen Zentren sehr empfindlich und der betroffene Mensch empfindet Schwindel oder erleidet gar eine Ohnmacht. Man kann sich die Folgen leicht vorstellen: Einige Gehirnstellen bekommen zu lange zu wenig Blut, was einen Schlaganfall auslösen kann. Oder der Mensch steht gerade an der Straßenbahnhaltestelle, wird ohnmächtig und fällt auf die Gleise oder man fährt mit 180 Sachen über die Autobahn, wird schwindelig oder sogar kurz ohnmächtig und schon ist es passiert. Man sieht daraus, daß der betroffene Mensch oft nicht nur durch den Herzstillstand selbst gefährdet wird (der geht meistens so schnell wieder vorbei), sodaß keine bleibenden Schäden entstehen, sondern daß die Gefahren vielmehr von den Symptomen "Schwindel" oder "Ohnmacht" ausgehen.

Nun liegt das Meßgerät für den Blutdruck (Carotissinus) am Hals direkt unter der Haut und kann durch alle möglichen Drücke beeinflußt werden: Durch den Blutdruck innerhalb des Gefässes, wie er das auch soll, oder aber auch durch leichten Druck von außen, durch Kratzen am Hals, durch den Rasierapparat, der morgens über den Hals kratzt oder einen zu engen Kragen des Hemdes. Bei einem kranken Menschen reicht also in der Regel schon die Drehung des Kopfes bei einem zu engen Kragen aus, um den Blutdruck extrem abfallen zu lassen und die oben beschriebenen Symptome auszulösen.

Beim Carotisdruckversuch macht man nun im Grunde genommen nichts anderes, als den Carotissinus bewußt zu reizen. Man drückt also mit dem Finger darauf und guckt sich jetzt an, was am Herzschlag passiert.

Durchführung

Der Patient wird mit entblößtem Oberkörper auf die Liege gelegt und an das EKG angeschlossen.

Man massiert dann den Carotissinus der einen Halsseite (er liegt unter dem Kieferwinkel an der Vorderseite des queren Halsmuskels, des M. sternocleidomastoideus) mit zartem, aber energischem Druck mit einem Finger.

Während man drückt beobachtet man laufend im EKG, was die Herzfrequenz tut.

Passiert auf der einen Seite nichts, wird auch auf der anderen Seite auf den Carotissinus gedrückt, ebenso unter unter ständiger Beobachtung der Herzfrequenz.

Das Ergebnis des Drucks auf den rechten und linken Carotissinus wird durch die Registrierung des EKG aufgezeichnet.

Was merkt man?

Man verspürt nur den manchmal unangenehmen Druck am Hals.

Manchmal, wenn der Carotissinus überempfindlich reagiert und die Herzleistung und damit der Blutdruck stark abfallen oder wenn da Herz sogar vollkommen stehen bleibt kann man einen Schwindel verspüren. Bevor man ohnmächtig wird löst der Arzt den Druck am Hals allerdings wieder, sodaß eigentlich nichts weiteres geschieht.

Was kann passieren (Komplikationen)?

Im Grunde genommen genau das, was bei einem überempfindlichen Carotissinus aus so passiert:

Bei Druck auf den Carotissinus kann das Herz extrem verlangsamt werden, manchmal auch kurz stehenbleiben. Der Patient kann dies als Schwindel spüren, sehr selten tritt auch eine Ohnmacht ein. Solche extremen Herzstillstände treten aber nur außerordentlich selten auf.

Es versteht sich von selbst, daß man den Test nicht durchführen darf, wenn eine der beiden großen Halsarterien verengt ist, denn in einem solchen Fall wird das Gehirn nur oder überwiegend von dem Blutgefäß der Gegenseite mit Blut versorgt und was passiert, wenn man diese Blutversorgung mit dem Finger abdrückt, kann man sich vorstellen. Der Arzt, der den Carotisdruck anordnet, muß sich also vorher davon überzeugen, daß z.B. keine Strömungsgeräusche über den Halsarterien zu hören sind. Diese Feststellung kann man sehr einfach mit Hilfe eines Stethoskopes treffen.

Ergebnisse

Normalerweise kommt es bei Druck auf einen Carotissinus zu einem nur geringen Frequenzabfall; der Patient verspürt außer einem etwas unangenehmen Druck auf den Hals nichts.

Krankhaft, ist der Test dann, wenn

  1. eine Asystolie, also ein Herzstillstand von mehr als 4 Sekunden auftritt oder wenn
  2. ein Abfall der Herzfrequenz um mehr als 10 Schläge pro Minute bzw. um mehr als 25 % der Ausgangsfrequenz auftreten.

Nicht ganz eindeutig zu interpretieren ist es, wenn während des Carotisdruckes eine höhergradige av-Blockierung, also ein av-Block II oder III (EKG) auftritt. Für die Frage, ob dies krankhaft ist, ist es in der Regel ganz entscheidend, was der Patient vorher für Beschwerden hatte:

Das Auftreten eines av-Blockes ohne vorherige Beschwerden in Form von Schwindel oder Ohnmachtsanfällen wird man daher als kontrollbedürftigen Befund ansehen, bei dem noch kein Schrittmacher implantiert werden soll, während derselbe av-Block bei jemandem, der häufig schwindelig ist, als pathologisch anzusehen ist.

In der Abbildung oben sehen Sie das Beispiel eines Patienten, bei dem es nach Druck auf den Carotissinus zu einem Herzstillstand kam, der allerdings spontan wie- der verschwand.